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Orchideengärtnereien und Corona
Züchtung und Vermehrung
Vor etwa 200 Jahren wurde damit begonnen, tropische Orchideen in nennenswerter Zahl von ihren heimischen Standorten zu entnehmen und nach Europa zu verschicken. Die kürzeren Reisezeiten durch neue, schnellere Transportmittel verminderten das Risiko für lebende Pflanzen, die Vielfalt der immer wieder auftauchenden neuen Arten steigerte die Nachfrage. Spezielle Orchideengärtnereien entstanden und konnten die Nachfrage kaum decken. Deshalb versuchten Gärtner und Liebhaber bald, auch Orchideen durch Aussaat selbst zu vermehren, wie sie es bei anderen Pflanzen gewohnt waren. Das gelang jedoch nur selten und war zunächst für niemanden erklärbar. Die komplizierte Nachzucht brachte den Orchideen ihren Ruf als „schwierige“ Pflanzen ein.
Erst 100 Jahre später erkannte die Wissenschaft, dass beim Aufwachsen der Sämlinge ein Pilz helfen muss, der jedoch in den Gewächshäusern nur selten vorhanden war.
Die Samen der Orchideen sind mikroskopisch klein und sehr zahlreich – bis zu 1.000.000 Korn je Kapsel. Dafür haben sie keine Vorräte an Nährstoffen, von denen der wachsende Keimling leben könnte, bis er selbst Blätter und Wurzeln gebildet hat. Bis dahin hilft der passende Pilz wie eine Amme und ernährt jedes einzelne der winzigen Pflänzchen.
Nachdem diese Zusammenhänge entdeckt worden waren, wurde eine gezielte Aussaat und Züchtung möglich. Wissenschaftler entwickelten sterile Nährböden, auf denen die Pilze mit den Sämlingen zusammen aufwachsen konnten. Diese „symbiotische“ Aussaatmethode hatte aber auch Nachteile, die zu Misserfolgen führten. Nicht immer gelang es, den richtigen Pilz zu isolieren und das Gleichgewicht zwischen seinem Wachstum und dem der Sämlinge zu halten. Zudem war dieser Weg sehr zeitaufwändig und teuer. Man versuchte, auf den Pilz zu verzichten und die notwendigen Nährstoffe direkt in den Nährboden zu mischen. Der Durchbruch gelang 1922 nach vielen Versuchen. Seitdem ist diese „asymbiotische“ Aussaat im Labor unter sterilen Bedingungen für Spezialisten zur Routine geworden.
Die ersten „Hybriden“ entstanden, indem die Züchtung anfing einzelne, reine Arten durch Bestäubung miteinander zu verbinden. Hybriden unterscheiden sich von anderen Arten vor allem dadurch, dass sie bei einer neuerlichen Bestäubung und Aussaat nicht mehr gleichmäßige Nachkommen bringen, sondern sich „aufspalten“; sie sind nicht mehr reinerbig. Die Konsequenz ist, je öfter Hybriden miteinander gekreuzt werden, umso stärker spalten sie sich in alle möglichen Mischformen auf, die für die weitere Zucht unbrauchbar waren. Leider verursachte dieser Effekt bei den Züchtern sehr hohe Kosten, welche sie nicht selten zur Aufgabe der Zuchtarbeit zwangen.
Eine neue Vermehrungsform hat schließlich die Massenverbreitung ausgesuchter Hybriden einzelner Orchideenarten möglich gemacht. Seit 1960 entnehmen Züchter aus einzelnen Pflanzenteilen Wachstumsknospen. Diese werden im Labor auf speziellen Nährböden in beliebiger Zahl vermehrt. Dadurch können große, gleichmäßige Bestände aufgebaut werden, die zu den heute üblichen Vermarktungsformen passen. Allerdings ist diese „Gewebekultur“ nicht bei allen Orchideenarten möglich.
Neben der Züchtung neuer Formen und Farben ist ein weiteres Züchtungsziel die Entstehung pflegeleichter Sorten, da die Naturformen ihren unterschiedlichen Standorten sehr stark angepasst sind. Neuzüchtungen sind bereits weitgehend gelungen, vor allem auch, weil sich scheinbar fernstehende Arten vielfach miteinander kreuzen lassen. Dabei können die Erbanlagen empfindlicher Arten mit schöneren Blüten gekreuzt werden mit weniger prächtigen, dafür aber widerstandsfähigeren Arten aus anderen Gattungen. So ergeben sich gänzlich neue und oftmals sehr reizvolle Verbindungen.
Heute kommt für die Orchideengärtner als wesentliche Aufgabe hinzu, die in ihrer Heimat gefährdeten oder schon verlorenen Arten aus eigenen Altbeständen zu vermehren und dadurch zu erhalten. Neben dem Effekt, Entnahmen aus der Natur unnötig werden zu lassen, ergibt sich hierbei sogar die Möglichkeit, an ihrem natürlichen Standort bereits ausgestorbene Arten wieder anzusiedeln, sofern die Umwelt dies noch zulässt.